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Alles für Hannover: der Staatsdiener Hardenberg und sein Tagebuch einer Englandreise

Alles für Hannover: der Staatsdiener Hardenberg und sein Tagebuch einer Englandreise

© Elisabeth Weymann
Der Architekturhistoriker Dr. Bernd Adam und der Gartenforscher Prof. Marcus Köhler im Garten des Institutes für Landschaftsarchitektur.

Gemeinschaftliche Bemühungen zweier ausgewiesener Experten waren für diesen Protagonisten in Hannovers Geschichte des 18. Jahrhunderts wahrscheinlich unabdingbar. Denn wer sich dem einstigen kurfürstlich-königlichen Oberhofbau- und Gartendirektor Friedrich Karl von Hardenberg (1696–1763) und seinen vielseitigen Interessen widmet, hat viel zu tun. Über zehn Jahre wissenschaftlicher Recherche zu dieser spannenden Personalie verbinden Marcus Köhler, Professor an der TU Dresden für die Geschichte der Landschaftsarchitektur und Gartendenkmalpflege, und den Architekturhistoriker Dr. Bernd Adam. In einem Doppelvortrag an der Leibniz Universität in Hannover stellten sie am Donnerstag, 4. Juni 2025, auf Einladung des CGL und von Prof. Dr.-Ing. Inken Formann ihr jüngstes Forschungsergebnis vor.

Bilder- und materialreich erfuhr das Publikum von den Erfahrungen des wissbegierigen Hardenberg auf seiner zehnmonatigen Englandreise in den Jahren 1744/45. Informationen, die aus dessen Tagebuch-Notizen herausgelesen wurden, deren Quellenwert man lange übersah. Aus dem Blickwinkel eines Kulturtransfers und des Importes von theoretischen und ganz praktischen Ideen vom Insel-Königreich nach Kurhannover stellen sie einen einzigartigen Fundus im Zeitalter der Aufklärung dar. Sie ergänzen andere erhaltene Ego-Dokumente des Adligen und es vervollständigt sich das Bild eines ehrgeizigen Staatsdieners, der sich um die Modernisierung des Gemeinwesens und die Förderung der Wissenschaften verdient machte.

Eine herausfordernde Quellenedition für die Bearbeiter und die Lesenden 

Hardenbergs Aufzeichnungen in vier Sprachen, mit manchen ihm unbekannten, dann aber phonetisch wiedergegebenen Worten, sowie eingestreutem Latein, sind äußerst verknappt und teils kryptisch. Nichtsdestotrotz teilen sie genaue Beobachtungen mit. Ihr Stil nüchtern, ohne viel Kontext und mit Auslassungen, stakkatoartig berichtet, da sie ihm nur die Erinnerung stützen sollten und nicht zur Veröffentlichung gedacht waren. Stellenweise ergänzte ihr Autor das Geschriebene um anschauliche Skizzen, markiert mit Buchstaben für Referenzen im Text. Köhler und Adam waren nach eigenem Bekunden vielfach herausgefordert, Bezüge zu entschlüsseln und die Neugierde des Verfassers an einer Sache zu identifizieren.

Manche seiner Federstriche konnten für die Ende 2024 edierte Quellenedition nicht entschlüsselt werden. Köhler zufolge sei „die Lektüre nicht zum Durchlesen, sondern zum Stöbern gedacht“. Die Veröffentlichung führt neben den Notizen auch Karten mit den Reiserouten, eine Aufstellung seiner Ausgaben sowie eine Liste mit den Namen der Personen auf, die der Hofbeamte in England und andernorts  getroffen hatte. „Das ist ein Who is Who des 18. Jahrhunderts“, so Köhler. Kurhannover sei beileibe „kein Provinznest“ gewesen.

Nach einem missglückten Start als Kammerrat hatte Georg II. (1683–1760), König von Großbritannien und Irland und hannoverscher Kurfürst, den aus einem altadligen, weitverzweigten Beamten- und Militärgeschlecht stammenden Hardenberg 1741 zum Leiter eines auf ihn zugeschnittenen Hofbau- und Gartendepartments gemacht. Die beiden Fachgebiete gaben Schwerpunkte der Englandreise vor, sie eröffneten ihm aber viele weitere Einsichten: Hardenberg kam unter anderem mit Gartenkunst, Botanik und Architektur, Brückenbau- und Ingenieurwesen, Stadtplanung und Infrastruktur, Naturwissenschaften, Mathematik und Navigation, Kunst, Musik, Literatur und Theater, Wissenschaftsgeschichte, mit Politikern und Diplomaten, Gutsökonomie, Pferdezucht und Jagd sowie Gesellschaftsthemen und Hofklatsch in Berührung.

„Kent … will alles wild haben“ – Hardenberg als Zeuge einer Gartenkunst im Umbruch

Köhler und Adam stellten mehrfach direkte Bezüge von England nach Kurhannover her. Beispielsweise im Gebiet der Gartenkunst: Dazu zählt der Besuch Hardenbergs in Euston House beim Herzog von Grafton in London, bei dem er auch mit William Kent (1685–1748) zusammentraf. Der künstlerisch mehrfach begabte Kent stand am Beginn einer neuen, von England ausgehenden Gartenmode, die den formalen barocken Stil abzulösen begann. Hardenberg lernte somit als früher Zeuge aus Kontinentaleuropa Parkanlagen kennen, die sich in einer Übergangsphase zu den neu entwickelten landschaftlichen Gestaltungen befanden.  

     „Kent ein Mahler u. guter Architect, der die simple alte Kunst liebet, will alles wild haben u. nur der Natur helffen in den Sachen so sie nicht selbst besorget hat. Er hatte ordentl. alte Alleen, niederhauen laßen, u. hin und wieder Clumps gemacht; item clumps in der Haubt avenue alwo er im Eingang ein Portal vorschlug zu bauen it. ein Gebäude vor das Icehouse auf einer Höhe mit einem klein Zimmer u. 2 daneben so recht artig war.“ (Eintrag vom 17. Oktober 1744)

Zum Besten von Kurhannover: Impulse aus vielen Interessensgebieten 

Von diesem „Icehouse“ überließ Kent dem Gast aus Hannover eine Skizze, die nur wenige Jahre später den Bau eines Belvedere-Pavillons im ehemaligen Küchengarten von Linden vor Hannover (heute ein Stadtteil) inspirieren sollte. Die Anfänge der Gartenrevolution hinterließen nachweislich Spuren im Denken Hardenbergs, der viele englische Landsitze besuchte und, wie sich herausstellte, mit manchen seiner Geländeskizzen im Reisetagebuch sogar ansonsten undokumentierte Gestaltungszustände überlieferte (etwa für Wolterton und Holkham Hall).

Besondere Vorliebe hegte er für zeitgenössische Entwicklungen der Architektur und für Bautechniken. In der kommentierten Transkription Köhlers und Adams zur Englandreise heißt es: „Während die meisten anderen deutschen Staaten zu dieser Zeit auf künstlerischem Gebiet noch vorrangig die traditionellen Bindungen nach Italien und Frankreich pflegten, beflügelte die Personalunion in Hannover eine frühe und fruchtbare Aufnahme englischer Ideen. Unter Hardenberg bildete sich so in Hannover um 1740 ein Zentrum der Baukultur, das im norddeutschen Raum eine deutliche Ausstrahlung entwickelte.“ 

Hardenberg verkörperte den Typus eines aufgeklärten Universalgelehrten, der sich durch umfassende Bildung, Reiselust, weite Vernetzungen und interdisziplinäre Interessen – zum Besten Kurhannovers – auszeichnete. Sein Nachlass, verteilt auf mehrere Archive in Deutschland, zählt zu den wichtigen Quellen zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Im politischen Bereich war er weniger erfolgreich: Bei einer Mission in Paris 1741 während des Österreichischen Erbfolgekriegs scheiterte er an dem Auftrag, einen Neutralitätsvertrag auszuhandeln. Frankreich hätte dies nur gegen erhebliche britische Zugeständnisse akzeptiert und Hannover blieb danach ein militärisches Ziel. 1762 wurde Hardenberg noch zum Geheimen Rat und Kriegspräsidenten berufen, starb jedoch im Jahr darauf.